SHANNON BOOL

Shannon Bool
I Left Calabasas, Escaped all the Ashes

8. August – 10. Oktober 2021

 

Eröffnung: Sonntag, 8. August, 14 – 17 Uhr

 

Wir freuen uns, in Zusammenarbeit mit PSM aus Berlin und dieses Mal auch mit der Galerie Kadel Willborn aus Düsseldorf eine Ausstellung von Shannon Bool zu präsentieren.

In Bezug auf die Rinderhaltung auf Gut Kerkow wird die kanadische Künstlerin ein so buchstäblich nahe liegendes wie provokantes Statement setzen. Und zwar als ortsspezifische Erweiterung ihrer Bodenarbeit „Entrata Reale“, die den Kornspeicher mit der Architektur der Renaissance sowie von Reality-TV Shows, in diesem Falle mit „Keeping up with the Kardashians“ in Verbindung bringt.

Original English version

 

Shannon Bools Installation I Left Calabasas, Escaped All the Ashes zeigt eine lebendige Zusammenstellung plastischer Bodenarbeiten, die auf das Wechselspiel zwischen Bildern, Wertesystemen und Produktionsmitteln hindeuten und die Aufmerksamkeit auf Schönheitsvorstellungen und die Erzeugung von Perspektive lenken.

In der Mitte des Ausstellungsraums stößt man auf einen schwarz-weiß gefliesten Marmorboden (Entrata Reale, 2019) – seine Kacheln unterscheiden sich auf raffinierte Weise in Größe und Form, um eine Fixpunktperspektive entstehen zu lassen. Sie haben Bildcharakter, obwohl sie wie Skulpturen auf einem niedrigen Sockel präsentiert werden. Dadurch vermittelt die Arbeit zwischen Bild- und Objektwelt. Auf den hochglanzpolierten Fliesen ruht der Bronzeguss eines Kuhfladens (Phidias’
Minerva
, 2021). Ein Ereignis scheint stattgefunden zu haben, vielleicht hat die Anbindung an eine Viehweide die intime Inanspruchnahme der Annehmlichkeiten einer menschlichen Behausung nach sich gezogen. Der Kuhfladen für den Abguss stammt von einem Aberdeenrind auf Gut Kerkow, dem Gelände, auf dem sich auch der Ausstellungsraum Spaced Out befindet. Etwas von außen hat eine Reihe von Transformationen durchlaufen und seinen Weg ins Innere des Ausstellungsraums gefunden. Dabei ist es, was seinen kulturellen Stellenwert in der Nahrungskette angeht, weit nach oben gerückt, oder etwa nicht? Hier vollzieht sich eine merkwürdige Ökonomie der Produktion und des Austauschs.

Die eigentliche Sensibilität von Bools Arbeit entsteht aus der Collagetechnik, die es der Künstlerin ermöglicht, die historische Aufladung der von ihr angeeigneten Bilder explodieren zu lassen, indem sie ihnen in losgelösten Assoziationsketten einen neuen Kontext verleiht, der sich fortlaufend zwischen Realem und Virtuellem bewegt. Die Werke beziehen sich auf den Ort, an dem sie präsentiert werden, auf die Perspektive, aus der heraus sie betrachtet werden (sowohl physisch als auch kulturell), auf ihre Materialität als Objekte und ihre Entstehung sowie auf ihren bildhaften Gehalt: Inwieweit sind sie fähig, über verschiedene traditionelle und soziale Medienplattformen hinweg zu zirkulieren? Letztendlich kämpfen sie darum, begreiflich zu machen, was Schönheit in der heutigen Kultur ausmachen könnte, während sie – passenderweise – auf das Auge des Betrachters verweisen, der ein Urteil zu fällen hat. Dies erweist sich als schwierige, historische Aufgabe, und das sollte auch so sein.

Das Design des Marmorbodens ist beispielsweise von einem Foto der Eingangshalle von Kris Kardashians bescheidenem Anwesen im kalifornischen Calabasas inspiriert, wo ein Waldbrand 2018 einen Großteil der Region bis in die Santa Monica Mountains zerstörte. Lana Del Rey erinnert in einer Zeile ihres Hits Wild at Heart daran. Bool hat diese Zeile zum Titel der Ausstellung gemacht. Die aschgraue Bildsprache der Künstlerin reicht bis nach Pompeji, wo ein Hund unter vulkanischer Asche begraben worden war; Jahrhunderte später wurde er in einem gläsernen Schaukasten ausgestellt. Der unsterblich gemachte Hund wird noch weiter aus dem Kontext gerissen und zum Begleitbild der Ausstellung. Irgendwie erzeugt die exzessive Mediation zwischen Hund, Kardashian, Del Rey und Kuhfladen eine größere Sensibilität im Assoziationsprozess. Im repräsentativen Zirkulieren werden sie realer. Getreu dem Wesen der Medien als nur mittelbar greifbare Phänomene lenkt der in der Mitte der Galerie angeordnete Marmorboden Kardashian, American Style Luxury – das Foto eines Eingangs, der nur aus einem einzigen Blickwinkel richtig zu „sehen“ ist – die Aufmerksamkeit auf die Hyperzirkulation von schwebenden, körperlosen Bildern im Allgemeinen und von Berühmtheiten im Besonderen. Bool hat sich viel mehr als nur Bilder angeeignet (nicht zum ersten Mal greift sie auf das Kardashian-Phänomen zurück), nämlich eine schwindelerregende Assoziationskette, die so nicht nur im Kopf der Künstlerin abläuft, sondern buchstäblich im gesamten Internet und den sozialen Medien. (Die Stichwortsuche in einem Webbrowser beispielsweise erzeugt stets solche Assoziationen, die von einer vermeintlich menschlichen Präsenz in Datennetzen zeugen.) Das Werk zeigt diesbezüglich eine vernetzte Sensibilität.

Diese vernetzte Sensibilität hat eine unheimliche Wirkung auf die Objekteigenschaften von Bools Kunstwerken: Sie oszillieren zwischen zwei Polen. Da ist zum einen ihre grandiose Pracht, die auf der Sorgfalt beruht, mit der sie angefertigt sind, und die eine Vielfalt an Geschichten vermittelt, anderer-seits eine melancholische Hingabe an Weltlichkeit und Status als Mittel der Verfremdung. Was da-durch offenbart, bloßgelegt oder wiederentdeckt wird, ist ein Zugang zur eigentlichen Schönheit der Objekte als Kunstwerke.

 

Text: Maxwell Stephens

Übersetzung: Frank Süßdorf

 

Shannon Bool wurde in Comox, Kanada geboren und lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte am Emily Carr Institute of Art and Design, Vancouver sowie Cooper Union, New York, machte 2004 ihren Abschluss an der Städelschule, Frankfurt am Main und war 2013 Artist in Residence in der Villa Romana, Florenz. Bool hatte Einzelausstellungen in Institutionen wie Agnes Etherington Art Centre (2020); Kunstverein Braunschweig (2019); The Canadian Cultural Center, Paris (2019); Musée d’art de Joliette, Joliette (2018); Illingworth Kerr Gallery, Calgary (2017) und Contemporary Art Gallery, Vancouver (2015). Ihre Arbeiten waren in Gruppenausstelungen im Sprengel Museum, Hannover (2019), Oakville Galleries, Oakville (2019), National Museum of Germany, Bonn (2018), Museum für Moderne Kunst, Frankfurtam Main (2017); White Cube Gallery, London (2017); The National Gallery, Ottawa (2017); Metropolitan Museum of Art, New York (2016) und La Biennale de Montréal (2016). Bools Arbeiten sind in Sammlungen vertreten wie jenen des Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main; The Metropolitan Museum of Art, New York; Lenbachhaus, München; The National Gallery of Canada, Ottawa; Foundation Sandretto, Turin; Musée d’art contemporain de Montréal, Montreal sowie zahlreichen Privatsammlungen.