MARIANA VASSILEVA

Mariana Vassileva
,Verweile doch, du bist so schön‘

12. März 2023 – 27. August 2023

 

English Version

Schon Johann Wolfgang von Goethe belehrte uns in seiner Tragödie Faust, dass man im richtigen Moment sagen sollte: ‚Verweile doch, du bist so schön.‘

So schön das Zitat für sich genommen ist, so hat Goethe aber nicht das Verweilen des schönen Augenblickes »gelehrt«, sondern im Gegenteil an seine LeserInnen appelliert, niemals im Streben nach Wissen stillzustehen oder sich auf dem ‚Faulbett‘ auszuruhen. In seiner Erzählung geht Faust mit dem Teufel Mephistopheles eine Wette ein, er möge ihn mit ins Verderben nehmen, an dem Tag, an dem er stillsteht: »Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!« (V 1699–1702)

‚Verweile doch, du bist so schön‘ ist auch der Titel der Ausstellung der Künstlerin Mariana Vassileva im Ausstellungsraum SP A C E D OU T auf dem Gut Kerkow. Und wie dem Titel zu entnehmen ist, widmet sich die Ausstellung dem Streben nach Schönheit: der Schönheit des respektvollen Verhaltens der Menschen gegenüber der Natur, gegenüber den Pflanzen und den Tieren, und dem Verhalten der Menschen untereinander. Doch die Ausstellung kritisiert auch ein Streben nach erzwungener Schönheit in Form von kulturell gemachter/erdachter Perfektion: nach physischer Perfektion der Pflanzen, Tiere und Menschen oder nach Perfektion in Effektivität und Effizienz. Wie in Goethe’s Tragödie verwendet Mariana Vassileva die Ambivalenz in der Schönheit des Titels und dieser und einer entgegengesetzten Lesbarkeit als ein erzählerisches Werkzeug.

Betreten die BesucherInnen den Kornspeicher des Gut Kerkow, so schrumpfen sie bei Betreten der Installation scheinbar auf die Größe von Insekten zusammen. In Relation zu den übergroßen Grashalmen, die verteilt im Raum stehen, wird die Bedeutung der Natur und ihrer Kräfte auf einer physischen Ebene erfahrbar. Die Grashalme reichen weit über unsere Köpfe hinaus, sie werfen Schatten herunter auf uns, stellen sich uns in den Weg und schwingen leicht in Reaktion auf unsere Bewegungen im Raum. Jeder Halm trägt einen Namen; es handelt sich um Namen antiken Ursprungs verschiedenster Kulturkreise, die in ihrer Bedeutung alle auf etwas Positives, Liebevolles, Gutes und Respektvolles zurückgeführt werden können. Eine Soundinstallation begleitet das Erlebnis in der Grasslandschaft – Tonaufnahmen des Wachsens von Grashalmen in der Natur, ein lautes Knistern, bilden das Basiselement einer kurzen Komposition über friedvolle Natur und das Wachstum und den Einbruch menschlicher Ausnutzung und brachialer Gewalt in diese friedfertige Idylle.

Inmitten der Graslandschaft befindet sich eine Schnur, die von der Decke baumelt. Der Aufforderung daran zu ziehen Folge leistend, hilft ein/e BesucherIn der/m Anderen, eine weiteres Werk jenseits der Graslandschaft sehen zu können. Die kollaborative Interaktion, die Zusammenarbeit der BesucherInnen, steht sinnbildlich für die Kraft der Gemeinschaft, die der Seele der Menschen gut tut, diese zu heilen vermag; aus einer Ansammlung von einzelnen Scherben kann ein komplettes Bild entstehen.

Tritt man an einem anderen Ende aus der Graslandschaft heraus, ist auf einmal eine Bewegung wahrzunehmen. Eine in einen Aluminiumrahmen gespannte Pflanze wird durch drei Stangen bewegt, wird klein und in Form gedrückt. An dem Punkt, an dem die Pflanze am stärksten eingedrückt und deformiert gehalten wird, ertönt eine Computerstimme:

Verweile doch, du bist so schön.‘